Wie wir unsere Zweifel überwinden und klare Entscheidungen treffen.
Haderst du manchmal auch mit der Unsicherheit, die Entscheidungen mit sich bringen? Woher wollen wir wissen, ob wir den richtigen oder falschen Weg einschlagen? Wäre es nicht klüger, solche Situationen einfach auszusitzen oder anderen die Wahl für uns zu überlassen? So wären wir zumindest die Verantwortung für das Ergebnis los – unsere Einflussmöglichkeiten darauf jedoch ebenfalls. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, uns selbst die Last etwas von den Schultern zu nehmen, sodass wir zukünftig eigene Entscheidungen treffen und mit gutem Gewissen zu ihnen stehen können. In der folgenden Nachdenk-Geschichte steht Nico vor dem gleichen Problem – bis sein WG-Partner Can ihm das Geheimnis der weißen Leinwand verrät.
Entscheidungen erfordern manchmal Mut. Auch Nico hadert mit der Unsicherheit, die Entschlüsse oft mit sich bringen. Doch das ändert sich, als sein WG-Partner Can ihm das Geheimnis der weißen Leinwand verrät. Foto: Gareth Willey / unsplash
Das Geheimnis der weißen Leinwand
Nico stellte den Einkaufskorb auf die Küchenablage und packte Joghurt, Pudding, ein Päckchen Butter sowie die Eier in den Kühlschrank. Als er die Packung Vollkorntoast anschließend in den Brotkasten schob, viel hinter ihm lautstark die Haustür ins Schloss. Nico zuckte zusammen und klemmte sich beinahe die Finger in der herunterfallenden Brotkastenklappe – er konnte sie gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.
»Tschuldigung«, rief eine fröhliche Stimme aus dem Flur, kurz darauf ertönte ein weiterer Knall.
Nico kniff die Augen zusammen. Das klang eindeutig nach einer Getränkekiste – hoffentlich hatte der schöne Parkettboden ihrer Altbauwohnung nichts abbekommen.
»Noch mal Tschuldigung«, rief die Stimme erneut.
Nico ging zur Küchentür und lugte in die schmale Diele hinaus, wo sein neuer WG-Partner Can ihn angrinste. »Hab Radler besorgt«, verkündete dieser und deutete unnötigerweise auf den vor ihm stehenden Bierkasten. Nico nickte. Er mochte den Mix aus Limonade und Bier besonders in den Sommermonaten gern. »Gute Idee«, sagte er. »Lass uns direkt ein paar Flaschen für heute Abend kaltstellen.«
Can zog die Augenbrauen hoch. »Gleich mehrere? Was hast du vor?« Er lachte, öffnete die Kühlschranktür und checkte die freien Kapazitäten darin.
»Ich möchte nach Feierabend mal in Ruhe nachdenken, wie es weitergeht. Da kommt mir das ein oder andere kühle Getränk gerade recht.«
»Hast du das nicht gestern auch schon gemacht? Ich meine: nachgedacht? Und vorgestern?«
Nico legte den Kopf schräg. »Ja«, bestätigte er. »Ist momentan alles nicht so einfach. Ich stehe vor vielen Entscheidungen, da muss ich die Konsequenzen sorgfältig abwägen.«
Can schob den nun halb leeren Flaschenkasten mit dem Fuß an die Küchenwand neben den Mülleimer. »Wenn du reden willst, bin ich da. Du weißt ja, wo du mich findest.« Sein Kinn ruckte in Richtung WG-Zimmer. »So, jetzt muss ich langsam loslegen. Der Kunde braucht das Bild bis Freitag – es ist wohl ein Geschenk für seine Frau.«
»Deine Landschaftsmalereien sehen wirklich stark aus«, befand Nico anerkennend. »Ich habe selten eine so knallbunte und gleichzeitig entspannte Kunst gesehen. Du solltest dein Hobby zum Beruf machen.«
»Das habe ich vor. Bisher kann ich zwar nicht davon leben, aber wer weiß schon heute, was morgen alles möglich ist.«
Entscheidungen treffen mit Künstler Can
Am Abend klopfte Nico mit zwei Flaschen Mix-Bier ausgestattet bei seinem Mitbewohner. Es rumpelte, dann ertönte ein dumpfes »Komm rein« von drinnen. Nico drückte die Klinke herunter und die Zimmertür schwang mit einem leisen Knarzen auf. Die Einrichtung war ebenso bunt wie die beiden Staffeleien in der Raummitte – unzählige Farbspritzer überzogen die hölzernen Gestelle. Daneben sah er eine dritte Halterung mit einer strahlend weißen Leinwand darauf, die vollkommen unberührt aussah. Er hatte sie vom Flur aus schon öfter hier stehen sehen und fragte sich, warum Can sie nicht nutzte. Bei ihrem Anblick musste er unwillkürlich an seine kleine Schwester denken. Früher hatte Kira ihn nach dem Ballettunterricht ab und zu auf der Wache besucht. Mit ihrem rosafarbenen Kleidchen zwischen all den klobigen Feuerwehrhosen hatte sie einerseits zwar ähnlich deplatziert gewirkt wie diese saubere Leinwand inmitten der Farbexplosion – doch hatte er sich auf der anderen Seite nichts Perfekteres vorstellen können. Bei der Erinnerung an sie wurde ihm warm ums Herz und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.
»Bin gleich da«, dröhnte es plötzlich schräg hinter ihm aus dem Kleiderschrank und riss ihn unsanft aus seinen Gedanken.
Nico fuhr zusammen. Er stöhnte. Can hatte es echt drauf, ihn aufzuschrecken. Er wandte sich ihm zu und musste bei dem Bild, das sich ihm bot, schmunzeln. Der WG-Partner hing kopfüber im Bodenraum des Schranks, umringt von herabhängenden Klamotten, die seinen Oberkörper ein Stück weit verdeckten und das Hinterteil unvorteilhaft in den Fokus rückten. Ein Bügel hatte sich von der Kleiderstange gelöst und lag mitsamt Shirt auf Cans Rücken. Als er sich aufrichtete, rutschten noch weitere Kleidungsstücke von den Bügeln und fielen zu Boden. Can ignorierte das angerichtete Chaos und präsentierte Nico stattdessen triumphierend eine Farbtube. »Silber für die Schneelandschaft«, kommentierte er dessen ratlosen Blick.
»Schneelandschaft«, wiederholte Nico seine Worte ungläubig. »Wir haben Juli.«
Can zuckte mit den Schultern. »Das ist meinem Kunstwerk egal. Es wird, was es werden soll.« Er schob seinen Freund auf die andere Seite der Staffelei, wo im Querformat die angefangene Auftragsarbeit stand. Dann schraubte er den Verschluss von der Tube ab und drückte ein wenig Farbmasse auf eine ovale Mischpalette. »Schieß los«, sagte er dann. »Über welches Problem denkst du seit Tagen nach?«
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Manchmal liegt der richtige Weg klar vor uns, in anderen Fällen sind wir völlig verunsichert. Hier gilt es, klug abzuwägen. Das Geheimnis der weißen Leinwand kann uns dabei die Last von den Schultern nehmen. Foto: Gerd Altmann / pixabay
Nico seufzte und reichte Can eine der mitgebrachten Getränkeflaschen. Der ging damit zielsicher zum Schreibtisch, wühlte in den darauf liegenden Kisten mit Pinseln und Stiften herum, bis er schließlich den gesuchten Öffner fand. Mit einem Plopp flog der Deckel vom Flaschenhals. Erwartungsvoll sah er Nico an.
»Es sind gleich mehrere Entscheidungen und ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.«
»Fang mal mit der Wichtigsten an«, schlug Can vor.
»Okay, also der Job. Mein Chef hat mir angeboten, in den Innendienst zu wechseln.«
»Wieso das?«, hakte Can nach. »Du bist als Feuerwehrmann doch erfolgreich an der Front, soweit ich das mitbekommen habe, oder nicht?«
»Daran liegt es nicht«, versicherte Nico schnell. »Es geht um die Weiterentwicklung von Einsatztaktiken. Er meinte, ich wäre ziemlich gut mit Strategien und so. Weil ich noch jung bin, würde ich mit einem alten Hasen aus dem Team zusammenarbeiten. Vielleicht könnte ich die Abteilung in ein paar Jahren sogar leiten, wenn er in Rente geht.«
Can stellte seine Flasche auf der Fensterbank ab und lehnte sich daneben gegen die Wand. »Wow, das klingt ganz schön cool«, befand er. »Was spricht dagegen?«
»Na ja, ich …«, setzte Nico an, verstummte dann jedoch wieder. Nach einigen Schweigesekunden unternahm er einen zweiten Anlauf. »Ich bin ja nicht umsonst Feuerwehrmann geworden. Ich liebe den Zusammenhalt mit den Kollegen beim Einsatz und diese Adrenalinkicks, sobald der Alarm losgeht.« Eine leichte Gänsehaut kroch seine Arme empor, während er darüber sprach. »Menschen zu retten, mich gegen die wilde Unbändigkeit der Flammen zu stellen – ist es nicht das, was ich will?«
»Keine Ahnung«, antwortete Can. »Sag du es mir.«
»Strategien und Taktiken sind genauso spannend«, fuhr Nico mehr an sich selbst gerichtet fort, als habe er die Worte seines Mitbewohners gar nicht wahrgenommen. »Ich könnte endlich meine eigenen Ideen umsetzen. Verdammt! Wenn ich es laut ausspreche, weiß ich noch weniger, was richtig ist.«
»Was macht dir am meisten Angst?«
»Dass ich die falsche Entscheidung treffe natürlich und damit am Ende unglücklich bin.«
»Sollte es so kommen, wirst du einen Weg finden, es wieder geradezurücken.«
»Das stellst du dir so einfach vor«, murmelte Nico und trank einen Schluck. »Ich kann zwischen den Stellen nicht hin und her wechseln, wie es mir gerade passt.«
»Das sagt auch niemand«, entgegnete Can. Er ging nochmals zum Schreibtisch, nahm seine Geldbörse und fischte einen Euro aus dem Münzfach.
Mit einem Münzwurf wichtige Entscheidungen zu treffen klingt verrückt? Dann lies die Geschichte weiter und erfahre, was genau hinter dieser Idee steckt. Foto: Michal Jarmoluk / pixabay
Der Münzwurf als Entscheidungshilfe
Nico sah ungläubig auf das Geldstück. »Ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du willst wirklich eine Münze werfen, um so etwas Wichtiges zu entscheiden?«
Can lächelte. »Die Vor- und Nachteile hast du offensichtlich selbst bereits ausführlich abgewogen, kommst aber zu keinem klaren Ergebnis. Kopf heißt Innendienst als Stratege und Zahl Außendienst als Feuerwehrmann.«
»Mmh«, brummte Nico wenig überzeugt.
»Wiederhole das noch mal«, forderte Can ihn auf.
»Kopf Stratege, Zahl Feuerwehrmann.«
»Okay, nun schließe die Augen.«
Nach kurzem Zögern folgte Nico dem Appell.
»Ich zähle jetzt von fünf rückwärts, bei null werfe ich die Münze«, erklärte Can. »Du konzentrierst dich bitte ganz auf deine Gedanken. Bereit?«
»Ja, kann losgehen. Ich gebe mein Bestes – finde den Plan trotzdem etwas fragwürdig.«
»Fünf«, begann Can wie angekündigt herunterzuzählen. »Vier, drei, zwei, eins, null.«
Nico sah die kleine Münze vor seinem inneren Auge abheben. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als Can sie nach der Landung mit einem leicht klatschenden Geräusch von der einen Hand auf den Handrücken der anderen beförderte. Die Entscheidung war gefallen. Nico schluckte, ihm wurde flau im Magen. Er schlug die Augen auf und starrte auf die Hand, die das Geldstück verdeckte.
»Woran hast du gedacht?«, wollte Can wissen.
»Ich … ich weiß nicht genau«, stammelte Nico.
»War da für einen ganz kurzen, spontanen Moment der Wunsch, dass eine bestimmte Seite fällt?«
Nico sah ihn an, dann wanderte sein Blick zurück zu der versteckten Münze. »Ich glaube ja«, flüsterte er. »Irgendetwas blitzte in meinen Gedanken auf und hoffte auf den Kopf.«
Can lächelte. »Da hat dein Bauchgefühl gesprochen. Wir können unsere Intuition nicht bewusst befragen. Wir müssen sie locken – zum Beispiel mit diesem Trick.«
»Mein Bauchgefühl möchte also den Job im Innendienst annehmen?«
Can hatte die Hand immer noch auf der Münze liegen. »Zumindest geht deine unbewusste Tendenz offenbar dorthin.«
Nico deutete auf das verborgene Geldstück. »Zeig mir, welche Seite es wirklich ist.«
Can zückte die Geldbörse und ließ die Münze ungesehen hineinfallen. »Das spielt keine Rolle«, antwortet er. »Der Münzwurf war nur Mittel zum Zweck.«
»Und wenn der Wechsel doch ein Fehler ist und ich ihn hinterher bereue?«
»Klare Entscheidungen muss niemand im Nachhinein bereuen. Und weißt du warum?« Er ging zu der weißen Leinwand auf der sauberen Staffelei und fuhr mit dem Zeigefinger beinahe ehrfürchtig über das feine Gewebe der Oberfläche. »Weil wir jeden Morgen erneut entscheiden können, welche Richtung wir einschlagen. Ob wir unseren begonnen Weg weiterverfolgen oder an der nächsten Kreuzung abbiegen. Nichts, wozu wir uns heute entschließen, ist auf ewig festgelegt. Jeder frische Tag ist wie eine unbenutzte Leinwand, die wir gestalten können.«
Nico betrachtete sie nachdenklich. »Hast du sie deshalb ständig hier stehen?«
Can nickte. »So ist es.«
»Ich habe mich schon öfter gefragt, wieso du sie nicht nutzt.«
»Oh, ich nutze sie«, antwortete Can. »Sie ist immer da und erinnert mich daran, dass ich keine Angst vor Entscheidungen haben muss. Denn sie sind meist nicht so endgültig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.«
Das Leben ist so bunt, wie wir es gestalten. Indem wir bewusste Entscheidungen treffen, wird unsere weiße Leinwand an jedem neuen Tag zu unserem einmaligen Kunstwerk. Foto: Kirill Lyadvinsky / pixabay
Dein Leben, deine Entscheidung
Jetzt denkst du vielleicht: »Das ist ja alles schön und gut, aber es gibt nun einmal Entscheidungen, die sind nicht rückgängig zu machen.« Das ist natürlich richtig. Manchmal führen Wege zurück, manchmal sind sie jedoch versperrt und wir müssen andere ausprobieren. Doch diese Möglichkeit haben wir – an jedem neuen Tag. Machst du auch schon Gebrauch von deinen weißen Leinwänden? Bemalst du sie oder stehen sie nur in der Ecke herum und setzen Spinnweben an? Solange wir auf dieser Erde leben, bekommen wir täglich eine Leinwand geschenkt. Ob wir sie nutzen oder sie ignorieren, bleibt uns selbst überlassen. Aber ist es nicht schön zu wissen, dass auch deine persönliche frische Leinwand morgen früh nach dem Aufstehen auf dich wartet? Was wirst du mit ihr anfangen?
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