Sicherheitsbedürfnis vs. Freiheit: Fabel vom Hasenzaun

2023-09-10T10:27:41+02:00Kategorien: Fabeln|Tags: , |

Hast du ein hohes Sicherheitsbedürfnis oder ziehst du Freiheit und Eigenverantwortung vor? Welchen Preis bist du bereit, für deine Wahl zu zahlen?

Wir alle wollen sicher leben – das setze ich einfach mal voraus. Doch wo liegt das gesunde Maß und ist das Sicherheitsbedürfnis bei jedem Menschen gleich stark ausgeprägt? Diesen Fragen möchte ich heute gemeinsam mit dir und der Fabel vom Hasenzaun auf den Grund gehen. Darin führt die Häsin Hannah am Rande des Freiheitswaldes ein weitgehend zufriedenes Leben – bis das Reh Rita eines Tages einen Fuchs sichtet.

Hohes Sicherheitsbedürfnis: Häsin Hannah hat Angst vorm Fuchs

Starkes Sicherheitsbedürfnis: Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen bringen zusätzlichen Schutz, doch haben sie auch immer ihren Preis. Foto: Andreas Schantl / unsplash

Fabel vom Hasenzaun

Sicherheitsbedürfnis vs. Freiheit

Die Häsin Hannah rupfte ein Büschel Gras aus der saftig grünen Fläche, die sich vor dem Eingang zum Friedenswald erstreckte. Sie hoppelte ein Stück weiter, setzte sich auf ihre Hinterläufe und sah sich aufmerksam um. Hier wohnte sie nun schon ihr Leben lang und dieser Platz zwischen den hochgewachsenen Bäumen und dem weiten Feld war mit Abstand ihr Favorit. Kein Ort der Welt konnte in ihren Augen schöner sein. Am Waldrand entdeckte sie das Reh Rita. Es schaute mehrmals von links nach rechts, trat dann langsam aus dem Schutz der Bäume hervor und lief auf Hannah zu. Die Häsin zog die Nase kraus. Warum verhielt Rita sich so seltsam? Normalerweise war sie ein ziemlich ungestümes Reh und schneller bei ihr, als Hannah hätte flüchten können. Und das wäre manchmal durchaus angemessen, denn Rita redete gerne. Sehr gerne.

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Ritas Hiobsbotschaft & Hannahs Sicherheitsbedürfnis

Als Rita bei Hannahs Wiesenabschnitt ankam, legte sie sofort los und berichtete von einem Fuchs, den sie am Morgen an genau dieser Stelle gesichtet hatte. Ihr Blick schweifte unruhig durch die Umgebung.
­ Hannah stellte die Löffel auf. »Bist du dir sicher, Rita? Heute früh lag Nebel in der Luft, da kann man sich schon mal vertun.«
­ Doch Rita beharrte darauf, den Fuchs gesehen zu haben. Hannah überlegte. Sie wusste, dass immer mal wieder Füchse auf der anderen Seite des Waldes entlangzogen. Ab und zu hatte sie auch auf dieser Waldseite einen gesehen, doch Hannah war umsichtig und ging nie allein zu weit aufs offene Feld hinaus. So hatte sie sich immer rechtzeitig verstecken können. Ihr Sicherheitsbedürfnis beschränkte sich auf ein Minimum, da sie die Freiheit und Selbstbestimmung liebte.

Liegt der Fokus auf Angst und Schrecken, erhöht sich automatisch auch das Sicherheitsbedürfnis

Das Reh Rita weckt bei Hannah mit ihrer Geschichte vom Fuchs ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis. Foto: CongerDesign / pixabay

Höhere Gefahr, höheres Sicherheitsbedürfnis?

Rita riss die Augen auf, als Hannah keine Anstalten machte, sich umgehend in Sicherheit zu bringen. »Hannah, der Fuchs sah wirklich gefährlich aus, du musst dich schützen!«
­ »Ich kann sehr schnell rennen und Haken schlagen. Das hat bisher immer gereicht, wenn ich vor etwas flüchten musste«, beruhigte die Häsin das Reh.
­ »Aber dieser Fuchs war viel größer als die anderen und hatte spitze, scharfe Zähne«, rief Rita. »Wirklich! Ich stand doch ganz nah dran. Lass uns wenigstens einen Zaun um dich herum bauen, wenn du hier weiterhin jeden Tag auf der Wiese bleiben willst. Ich laufe sofort zum Biber und lasse ihn die Latten zurecht nagen.«
Hannah seufzte und willigte schließlich ein. Ein kleines Sicherheitszäunchen konnte wohl nicht schaden.

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Fuchs im Fokus: Sicherheitsbedürfnis verdrängt Freiheitsliebe

Als Rita den Zaun um Hannah herum gezogen hatte, schien sie zufrieden. Die Häsin rupfte weiter Gras und hüpfte hin und wieder über den Zaun hinweg an ein anderes Plätzchen.
­ »Das geht so nicht«, stellte Rita fest. »Der Fuchs kommt sicher bald wieder und ist ruckzuck in der Sicherheitszone. Da wird er dich reißen!«
­ Hannah kratzte sich mit dem Hinterlauf am Löffel. Sie schauderte. »Aber was ist mit dir und den Bibern? Seid ihr nicht auch in Gefahr?«
­ »Die Biber leben am Wasser und tauchen schnell unter, da kommt der Fuchs nicht hin. Und an mich geht er nicht ran, Füchse sind nur für unsere Rehkitze gefährlich.« Ritas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Hast du das gesehen?«, flüsterte sie. »Da hinten im Busch hat sich etwas bewegt. Himmel, das ist bestimmt der Fuchs!«
Hannah schluckte. »Okay«, sagte sie. »Du hast wohl recht. Würdest du den Zaun für mich erhöhen?«

Hoher Sicherheitslevel, eingeschränkte Freiheit

Der Zaun wurde höher und höher. Irgendwann konnte auch Hannah nicht mehr über ihn springen. Sie blieb also auf ihrem abgesteckten Terrain, fraß Gras und entschloss sich, dort auch zu übernachten. Bis zum Hasenbau war es ein ganzes Stück, wer wusste schon, wo der Fuchs noch überall auftauchen würde. Hier konnte ihr nichts passieren. Sie beobachtete die größeren Tiere, die hin und wieder an ihr vorbeispazierten und freundlich grüßten. Eigentlich war alles wie immer – doch irgendetwas fehlte.

Tschüss Sicherheit: Der Fuchs versetzt in Angst und Schrecken

Freiheit und erhöhte Risikobereitschaft gehen Hand in Hand – es gibt das eine nicht ohne das andere. Foto: CocoParisienne / pixabay

Die Fokusfalle erhöht das Sicherheitsbedürfnis

Als Hannah aufwachte, stand Waschbär Winny auf der anderen Zaunseite und tippte mit der Kralle gegen eine Holzlatte. »Was ist das?«, wollte er wissen.
­ »Ein Zaun«, erklärte ihm die Häsin das Offensichtliche.
­ »Das sehe ich. Aber warum bist du da drin?«
­ »Rita hat einen Fuchs gesehen.«
­ »Und vorher waren hier keine Füchse?«, fragte Winny.
­ »Doch schon. Aber selten.«
­ »Und hast du jedes Mal einen Zaun um dich herum gebaut?«
­ Hannah zögerte. »Nein, natürlich nicht«, murmelte sie.
­ »Wieso nicht?«
­ »Keine Ahnung. Vielleicht habe ich mich sonst nicht so verrückt machen lassen.«
­ »Verstehe«, antwortete Winny. »Die Fokusfalle.«
­ Hannah zog die Stirn kraus. »Was ist eine Fokusfalle?«
»Das, worauf wir unseren Fokus lenken oder lenken lassen, rückt in den Mittelpunkt. Dann nehmen wir es erst richtig wahr. So kann uns plötzlich etwas in Panik versetzen, das vorher in ähnlicher Weise auch schon da war, eben nur weniger Beachtung hatte.«

Preis der Sicherheit

»Du meinst die Fuchsgefahr?«
­ Winny nickte. »Du hattest die Situation bisher doch ganz gut im Griff, oder? Jedes zusätzliche Stückchen Sicherheit hat einen Preis. Welcher war deiner?«
­ Hannah senkte den Kopf. »Meine Leichtigkeit und ein Teil meiner Freiheit.«
­ »Puh, das ist ganz schön teuer«, fand der Waschbär. »So viel ist dir das Sicherheitsplus wert?«
­ »Nein«, antwortete Hannah, ohne zu zögern.
­ »Aber warum zahlst du dann einen Preis, der dir eigentlich zu hoch ist?«
»Tja«, murmelte Hannah. »Das ist eine wirklich gute Frage.«

Ergänzend zu dieser Geschichte findest du hier meinen Blogbeitrag »Schließen Freiheit und Sicherheit einander aus?« aus der Rubrik Wissen2go.

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